Native App oder Web-App?

Sie planen ein neues mobiles Projekt und müssen priorisieren: Sollten wir eine native App entwickeln oder genügt eine moderne Web-App / PWA? 2025 ist diese Entscheidung komplexer als noch vor wenigen Jahren. Native Frameworks wie Flutter, Swift UI und Jetpack Compose liefern Höchst­leistung und feinste UX, während Progressive Web Apps mit Push-Badging, Offline-Caching und „Install-Instant“ erstaunlich aufgeholt haben.

Der folgende Leitfaden beleuchtet – ganz ohne Marketing-Hype – alle relevanten Auswahl­kriterien: Performance, Entwicklungs­aufwand, Wartung, Distribution, Sicherheit, Zukunfts­fähigkeit und schließt mit einer praxis­erprobten Entscheidungs­matrix.


1. Performance & User Experience

UI-Responsiveness

Eine topmoderne native App (z. B. Flutter 4, Swift UI oder Kotlin Compose) rendert 60 Frames pro Sekunde, weil sie direkten GPU-Zugriff hat und JIT/AOT-optimierten Code nutzt. Das bedeutet: flüssige Scroll-Erlebnisse, ruckelfreie Animationen und Touch-Feedback ohne merkliche Verzögerung. Bei komplexen PWAs sinkt die Bild­wiederholrate oft auf 30 – 45 fps, da der Browser-Layer dazwischenhängt. Für Content-First-Erlebnisse reicht das – für hoch­interaktive Dashboards oder datenintensive Produktiv-Apps eher nicht.

Hardware-APIs & Sensoren

Native SDKs sprechen NFC, Bluetooth LE, Ultra-Wide-Band, Kamera-RAW-Formate oder ARKit / ARCore direkt an. In Web-APIs kommen viele Features verzögert an oder nur “read-only”: NFC-Schreibzugriff ist auf Chrome ≥ 119 limitiert, BLE-Advertising fehlt im Web ganz. Wenn Ihr Geschäfts­modell auf exakter Sensor­steuerung beruht – etwa für IoT-Produkte, Payment-Terminals oder AR-Overlays – ist native Technik bis auf Weiteres unschlagbar.

Offline-Fähigkeit

Native Apps verfügen über SQLite, Room, Core Data oder – in Flutter – mehrere Cross-DB-Packages. Damit lassen sich zehntausende Datensätze lokal speichern, differenziell synchronisieren und sogar KI-Modelle hosten. PWAs nutzen Service-Worker-Cache und IndexedDB, was für statische Inhalte genügt, aber bei großen Datensätzen schnell an Grenzen stößt. Unter iOS leert Safari den Cache spätestens nach sieben Tagen Inaktivität – für field-relevante B2B-Apps problematisch.

Look & Feel

Plattformspezifische Gesten (z. B. iOS Back-Swipe, Material-You Bottom Sheets) entstehen automatisch in nativen Toolkits. Im Web müssen sie nachgebaut werden; Abweichungen merkt der Nutzer sofort – und jede Irritation kostet Adoption. Wenn Marken­identität, Animations­qualität und Accessibility Kernziele sind, lohnt der native Weg.


2. Time-to-Market & Wartung

Single-Code-Base mit Flutter

Flutter 4 kompiliert sowohl zu nativen ARM-Binärdateien (iOS, Android) als auch zu WebAssembly. Im Alltag heißt das: ein Team, ein Sprint-Board, ein Release-Train. Unternehmen, die von Doppel-Teams (Swift + Kotlin) umstellen, berichten bis zu 40 % kürzere Entwicklungs­zyklen.

Review-Delays vs. “Deploy & Refresh”

PWAs werden wie jede Website ausgeliefert: Commit → Cache-Bust → live. Änderungen sind innerhalb weniger Minuten online. Native Apps müssen durch App-Store-Reviews. Apple ist mit Fast-Track inzwischen unter 24 h, dennoch bleiben Hotfix-Fälle ein Risiko. Kompromiss: Server-Driven UI und Remote-Feature-Flags. Damit kann auch eine native App neue Screens und Copy ohne Re-Review ausrollen – erfordert allerdings saubere Backend-Architektur.

Langfristige Wartung

Native Apps halten dank Tool-Chains (Gradle, SwiftPM, Flutter pub) automatisch Security-Patches und OS-Upgrades aktuell. PWAs profitieren wiederum von Browser-Updates, müssen aber bei API-Deprecations nachziehen. In der Total-Cost-of-Ownership-Betrachtung gleichen sich beide Welten an, solange Sie ein erfahrenes DevOps-Team haben.


3. Kosten & Ressourcen

Initial­entwicklung

  • Flutter-Native: Ein Produkt­team deckt alle Plattformen ab und liegt im Aufwand nur wenig über einer PWA.

  • Separate Swift + Kotlin: Verdoppelt UI-Arbeit, lohnt nur, wenn absolute Spitzen­leistung für jede Plattform nötig ist.

  • PWA: Spart anfangs rund 10 % gegenüber Flutter, solange Hardware-Zugriff keine Rolle spielt.

Wartung & Feature-Scaling

Flutter bleibt linear: Ein neues Feature wird einmal implementiert, Tests laufen im selben Repo. In PWAs kommen bei Hardware-Erweiterungen Zusatz­entwicklungen oder native Wrapper hinzu. Oft heißt es später: „Wir brauchen doch Bluetooth“ – und dann wird Nachrüsten teuer.


4. Distribution & Reichweite

App-Stores

Ein Store-Listing bringt Sichtbarkeit, Trust-Badges und Infrastruktur für In-App-Subscriptions, Push-Notifications und Paywalls. Der Preis ist Revenue-Sharing (15 – 30 %). Marketing-seitig lassen sich App-Store-Ads effizient anpeilen; außerdem signalisieren native Stores Verlässlichkeit.

PWAs & SEO

PWAs indexieren wie herkömmliche Web-Seiten: Sie ranken für Keywords, erscheinen in Rich-Snippets und lassen sich ohne Gatekeeper sharen. Für Geschäfts­modelle, die stark auf organischen Traffic setzen (Magazine, Community-Plattformen), ist das ein gewichtiges Argument.

Regulatorische Änderungen

Die Öffnung alternativer App-Stores in der EU mindert zwar Apple-Lock-in, ändert aber nicht die Tatsache, dass für OS-Integrationen signierte Pakete nötig sind. PWAs umgehen diesen Schritt komplett.


5. Sicherheit & Compliance

Native Sicherheitsschichten

Keychain / Keystore speichern Tokens hardware-gesichert. iOS 17 verpflichtet Business-kritische Apps, Passkeys statt Pass­wörter anzubieten – eine Anforderung, die im Browser nur teilweise abbildbar ist. Zudem ermöglichen native Apps On-Device AI, sodass sensible Daten das Gerät nie verlassen.

Browser-Sandbox & TLS

PWAs laufen im Same-Origin-Sandbox-Modell – stark, aber weniger granular. Bei PSD2-konformen Zahlungs­flüssen muss sowieso eine App-ähnliche Zwei-Faktor-Umgebung erzeugt werden. Wer „Security by Design“ ernst nimmt, fährt mit nativen Technologien inklusive Biometrie-Binding langfristig schneller.


6. Zugang zu Innovationen 2025

On-Device AI

Core ML, NNAPI und TensorFlow Lite ermöglichen bis zu 7-B-Parameter-Modelle direkt am Smartphone. WebGPU + WASM sind zwar beeindruckend, aber noch im Beta-Stadium: Ladezeiten und Batterie­verbrauch liegen höher.

Spatial Computing / AR

Apple Vision Pro und Android XR definieren neue Interaktions­modelle. ARKit / ARCore sind tief ins OS integriert; WebXR hinkt Funktions­umfang und Performance hinterher.

Instant-Apps

Nativer App-Streaming-Download (unter 15 MB) erlaubt „Try before Install“ inklusive Session-Persistenz – ein starker Growth-Hebel. PWAs öffnen zwar sofort per Link, verlieren aber den nahtlosen Upgrade-Fluss ins volle App-Erlebnis.

5G Network Slicing

APIs zur slice-spezifischen QoS-Anforderung existieren nur nativ. Für Ultra-Low-Latency-Anwendungen (Telemedizin, Echtzeit-Collaboration) unverzichtbar.


7. Die Entscheidungs­matrix

Benötigen wir High-Performance oder Sensor-Zugriff (NFC, BLE, AR)?
• Ja → Native App (Flutter)
• Nein → PWA reicht

Ist organische Google-Sichtbarkeit geschäfts­kritisch?
• Ja → PWA oder Web-First, evtl. Wrapper später
• Nein → Store-Listing optimieren, native App bevorzugen

Planen wir In-App-Sales / Subscriptions?
• Ja → Native Stores – fertige Zahlungs-Flows und Trust-Badges
• Nein → Web-Checkout möglich, Abbruchquote bedenken

Müssen wir einen PoC in < 3 Monaten live bringen?
• Ja, Hardware irrelevant → PWA / Low-Code
• Ja, Hardware wichtig → Flutter Cross-Platform


Empfehlung – unser Fazit für 2025

Für die überwiegende Mehrzahl an Enterprise- und Scale-up-Projekten raten wir zu einer Flutter-basierten nativen App. Sie vereint

  • Maximale UX und Performance – unverzichtbar, wenn Nutzer:innen täglich produktiv mit Ihrer Lösung arbeiten.

  • Eine einzige Code-Base – Kosten­effizienz fast auf PWA-Niveau, ohne Abstriche bei Sensor-Integrationen.

  • Zukunfts­sicherheit – direkter Zugang zu On-Device AI, AR-Kits, Bluetooth Mesh und kommenden Payment-APIs.

PWAs bleiben goldrichtig für Content-Portale, interne Dashboards oder Kampagnen-Microsites mit kurzer Lebensdauer und minimalem Hardware-Bezug. Wer jedoch langfristig plant und Premium-Erlebnisse liefern möchte, sollte sich heute für Flutter-first entscheiden – nicht zuletzt, weil sich Web-Builds bei Bedarf jederzeit zusätzlich ausspielen lassen.

 
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